03 | Der Schmuck der Demut

03 | Der Schmuck der Demut

2560 1707 Erwin Sovkov

Um den eigenen Weg zu gehen, der den Menschen dahin führt, das als ein Geistiges wahrgenommene bis in den sprachlichen Ausdruck der Gedanken zu bringen, darf keine Willkür vorliegen. Denn es wird nicht symbolhaft von Erfahrenem berichtet. Die Kraft des Wortes soll sich selber ausdrücken. Das braucht eine bestimmte Übung. Übung zu erlangen darf aber genauso wenig abstrakt bleiben, indem Handlungen zum Beispiel nur für eine gewisse Zeit ausgeführt werden. Nein, es soll Leben werden und der Mensch soll sich beim Üben verändern. In welche Richtung die Veränderung geht und wie der Weg überhaupt beginnt, soll im Folgenden erklärt werden. Der Weg der dabei gegangen wird, wird Einweihungsweg genannt und die wichtigste Übung darin ist die Demut.

Einführung

Der Einweihungsweg kann viele unterschiedliche Formen annehmen, je nachdem welches Gebiet menschlichen Geisteslebens im Vordergrund steht. Aber es gibt neben den einzelnen, für sich abgeschlossenen Teilen auch den Einweihungsweg, der das gesamte mögliche Geistesleben zur Grundlage hat. Es ist das der als unschätzbar höchstes Gut dem Menschen gegebene Einweihungsweg des Wortes. Diesen Einweihungsweg nenne ich den wahren Einweihungsweg, weil er keinen Aspekt des Menschen unbeleuchtet lässt und vom Menschen alles ans Licht der Erkenntnis bringt, was sonst verborgen bliebe. Er allein ermöglicht dem Menschen den vollen Anteil an der Wahrheit.

Die Anfänge des Einweihungsweges

Das erste, was an den Menschen herantritt, wenn er sich auf den Weg zur wahren Einweihung macht, ist die Erkenntnis, dass ihm die Außenwelt seine intimsten, innersten, heiligsten Fragen nicht beantworten kann. Diese Erkenntnis entstammt einer genauen Beobachtung der vorliegenden Tatsachen und quillt als Demut aus der Reinheit der Seele hervor. Dieselbe Demut muss den Menschen auch in folgender Erkenntnis leiten: Der Mensch kann sich die Fragen, die auf das Höchste im Menschen gerichtet sind, nicht, auch nicht in Teilen, selbst beantworten.

Wer diese Erkenntnis hat, ohne sich eines Einweihungsweges bewusst zu sein, ist, ohne es zu wissen, bereits auf demselben. Das ist ein Geschenk des Schicksals. Die Aufgabe des Menschen wird dann sein, sich dessen bewusst zu werden und daraus das freie Bedürfnis zu entwickeln diesem Einweihungsweg aus eigenem Entschluss zu folgen. Das ist insofern wichtig, da bereits die ersten Schritte nur Kraft haben, wenn dieser eigene, freie Entschluss vorhanden ist. Ist er nicht vorhanden und ist der Mensch dadurch schwach auf seinem Weg, so bietet er anderen, fremden Kräften eine Angriffsfläche, die ihn aus der Bahn seiner Entwicklung werfen. Aber der Mensch soll sich von dem Entschluss, den er einmal getroffen hat, nicht wieder abbringen lassen, denn seine Arbeit schreibt sich in das Ewige des Menschen.

Das Urproblem des Menschen

Der moderne Spiritualismus verkennt diese Lage, in der sich der Mensch befindet. Denn er strebt nicht nach der Wahrheit in Form des Wortes als das Höchste im Menschen, sondern gibt sich mit geringerem zufrieden. Täte er das nicht, so müsste er dem Menschen von der Demut der Seele sprechen. So aber, indem er den Menschen auf sein Inneres weist, ohne von der Demut der Seele zu sprechen, weist er den Menschen statt auf Gott auf sein Ego. Bezeichnet das Ego aber als Gott. Doch das Ego ist eingeschränkt und kann über die Grenzen der eigenen Seele nicht hinausschauen. Und so nimmt sich der Mensch selber gefangen und dreht sich im Kreis, weil er sich an Kräfte wendet, die doch nur Teil seiner eignen Seele sind.

Er baut auf “Selbstheilungskräfte”, auf den “inneren Führer”, auf “alles was du brauchst, um vorwärts zu kommen, liegt in dir” und vieles mehr. Aber diese Haltung verschleiert das eigentliche Problem: Der Mensch kann sich nicht eingestehen, dass sein Blick nur auf sich selbst ruht, nur auf der eigenen Seele. Und er kann sich nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das höher ist als er und von dem er eigentlich jede Hilfe empfängt, die er braucht. Und so, anstatt dieses Höhere schöpferisch zu ergreifen und damit, wie im Inneren so auch im Äußeren, tätig zu werden, wendet der Mensch sein Auge von der Außenwelt ab und lenkt es verstärkt auf das sich selbst gefallende Innere. Doch dadurch wächst nur das Ego des Menschen und er lässt von der Suche nach der wahren Lösung des Urproblems ab.

Die Tiefen der Seele

Von sich eingenommen verliert der Mensch die Fähigkeit das Urproblem von außen und mit Abstand zu betrachten. Der Mensch könnte in dieser Lage in die tiefsten Tiefen seiner Seele hineinschauen, um Antworten zu suchen. Er würde dennoch nichts anderes sehen als sein in Selbstverliebtheit gefangenes Wesen. Und ohne den Unterschied zu bemerken, hielte er es für sich selbst.

So überzeugt sich der Mensch durch das Ego in seiner Innenwelt ständig aufs Neue, dass er der Beste, Schönste, Reichste, Klügste, Weiseste und vieles andere mehr sei. Aber mit dieser sich selbst schmeichelnden Überzeugung bleibt kein Platz mehr für wahre Selbsterkenntnis. Denn diese würde damit beginnen, den Menschen über sein illusorisches Selbstbild aufzuklären.

Mit dem Blick nach innen, in die Tiefen der Seele, findet der Mensch nur seinen Schatten. Er findet als diesen Schatten alles, was sich von dem wahren, höheren Wesen des Menschen abgetrennt hat. Alles andere ist darin nicht zu finden. Das einzige wozu der Blick nach innen demnach taugt ist die Erkenntnis, was der Mensch alles nicht ist. Das ist sehr wichtig. Denn nur eine klare Unterscheidung zwischen sich und dem höheren Leben ergibt eine freie, autonome Individualität, die sich über die Grenzen der abgeschlossenen Persönlichkeit hinaus entwickeln kann.

Der geistige Tod des Menschen

Wird dieses Verhältnis von sich zum Geist wirklich ernsthaft verstanden und erlebt, so muss man sagen, dass eine wahre, freie Individualität der Mensch nur dann werden kann, wenn er einmal – alle seine Leben zusammengefasst – vollständig Schatten war. Denn nur aus dieser Erfahrung heraus, die auf Grundlage seiner Erinnerung weiter in ihm lebt, kann sich der Mensch seinem schöpferischen, höheren Wesen und damit seinem Schöpfer als Ganzes, gegenüberstellen. Der geistige Tod des Menschen in der Form des Schattens ist daher für alle Menschen ein notwendiger Schritt in der Evolution. Der Mensch wird dadurch sein eigener Doppelgänger.

In unserer gegenwärtigen Zeit sind wir als Menschheit alle Schatten, alle Doppelgänger. Ganz egal ob im Materialismus oder im Spiritualismus lebend. Aber dieses Leben als Doppelgänger darf nicht zu lange so anhalten. Denn jede Tat des Menschen als Doppelgänger legt ein schweres Gewicht auf ihn, das er am Ende wieder erlösen muss. Es sind das die vom Doppelgänger geschaffenen Übel der Welt. Doch ohne dieselben geht es nicht. Der Mensch muss handeln. Egal ob richtig oder falsch. Selbst in der Lage, dass er als Doppelgänger kein wahres Licht zum Urteilen hat. Denn das wahre Licht ist Leben in der Erkenntnis des Wortes. Und für diese Erkenntnis muss der Mensch aus seinem Schatten erst wieder heraussteigen und im Rückblick auf seinen Doppelgänger sein Selbstbewusstsein im Licht entwickeln.

Doch aus seinem Schatten heraus kann der Mensch nicht alleine kommen. Mit der Identifikation als Doppelgänger ist der Entwicklungsweg des Menschen zu Ende gegangen. Das Licht, das Wahrheit ist und ihm Erkenntnis gibt, hat er verloren. Was er im Irdischen noch sieht ist materielles Licht. Das geistige Licht ist für ihn gestorben. Der Mensch ist tot, obwohl er irdisch lebt. Das ist der natürliche Gang der Evolution des Erden-Menschen.

Die Suche nach Erlösung

Aus diesem Tod im Doppelgänger kann sich der Mensch nicht mehr selber befreien. Alle Träumerei von Erlösung ist Illusion. Das Trugbild, in dem sich der Mensch für einen irdischen Gott hält, für einen Schöpfer in Menschengestalt, der alles schafft, was ihm dienlich ist, ist falsch und kraftlos. Das was Mensch geworden ist, ist das Wort. Es ist das Schaffende im Menschen. Das, was der einzelne Mensch für sich erreicht hat, ist einzig und allein sein Doppelgänger. Sich für etwas Anderes als den Doppelgänger zu halten ist Ausdruck des Hochmuts. Den Doppelgänger zu erkennen ist Demut.

Erst wer dieses ernüchternde, absolute und wie endgültig zu erlebende Todesgeschehen kenngelernt hat, weiß, ehrlich und rein, um Hilfe zu bitten. Denn die Hilfe findet der Mensch nicht in sich. Sie muss dem Menschen erst gegeben werden. Aber hat der Mensch sie erhalten, so ist sie ein Licht in der Finsternis, das die ganze Dunkelheit durchdringt und erhellt.

Was aus dem Menschen ohne das Wort kommt ist Teil des Doppelgängers. Es vermehrt das Übel. Die Demut, die um Hilfe bittet, Hilfe empfängt und sich von ihr erfüllen lässt, sie ist der einzige Ausweg aus der Sackgasse der Dunkelheit. Sie ist der einzige Weg, der auf solidem und fruchtbarem Boden wandelt und mit lebendiger Notwendigkeit den Menschen ans Licht führt. Dieses Licht geht vollständig durch die Dunkelheit des Menschen hindurch und führt ihn dann weiter und hinaus.

Und so erst kann sich der Mensch ehrlich und rein auf die Suche nach Erlösung machen. Denn nicht der Doppelgänger sucht, sondern das dem Lichte verlorengegangene Menschenwesen.

Der Empfang des Wortes

Aber der Mensch unserer heutigen Zeit und Kultur möchte alle Lösung selber finden. Sich als schwach und kraftlos vor das geistige Auge zu stellen ist ihm zu wider. Er möchte sich selber helfen und sich in seinem Stolz bestätigt fühlen, dass er sich allein aus dem Schlamassel gezogen hat, wie der Graf von Münchhausen sich selbst am Haarschopf. Er wird dabei sicher sehr einfallsreich sein, und sicher glauben, dass er einige Schritte vorwärts gemacht hat. Doch die Wahrheit ist, dass er sich bei genauerer Betrachtung um keinen Millimeter verändert hat und der Doppelgänger womöglich, ohne es zu wissen, sogar stärker geworden ist.

Denn was ändert und den Menschen entwickelt ist allein das Wort. Selbst wenn es durch das Schicksal am Menschen tätig ist. Und auch wenn das im Schicksal wirkende Wort dem Menschen nicht gleich zu Bewusstsein kommt, so ist es dennoch dem ganzen Menschen hingegeben und fördert ihn. Die Bewusstwerdung kann der Mensch erreichen. Aber nur auf dem oben beschriebenen Weg der Demut. Denn in der Erkenntnis liegt immer die Gefahr des Hochmuts. Und in diese Falle tappt der Mensch nicht, wenn er weiß, dass die ganze Hilfe, die er nötig hat von einem anderen, ihm gegenübergestellten Wesen kommt. Es neigt sich dem Menschen, es fördert den Menschen, es macht ihn rein und edelt ihn mit seiner eigenen Wesenheit: das Wort.

Der Mensch besitzt das Wort nicht. Aber es senkt sich in sein Inneres herab, wenn ihm der Mensch den Boden der Demut bereitet. Dort wird es für ihn Leben.

Das Kleid der höheren Welt

Das Leben, das vom Wort herstammt, hilft dem Menschen sein Inneres in Ordnung zu bringen und es zur Fortentwicklung zu bereiten. Ohne dieses Leben vermag es der Mensch nicht zu erreichen. Nicht einmal die geringste Hilfe kann sich der Mensch ohne das Wort geben, denn alles kommt von ihm.

Das zu erkennen, ist der notwendige und erste Schritt auf dem Pfad der Erkenntnis und des Lebens in höheren Welten, die die eigentlichen Welten des ganzen sichtbaren Kosmos sind.

Der Mensch verliert durch diese Annahme überhaupt nicht an Wert oder Selbstwert. Ganz im Gegenteil, er erhält mit dem Wert der Demut den Wert der ganzen höheren Welt mit, die fortan in ihm ihren Wohnsitz eingenommen hat und Teil von ihm wird.

Dieses Kleid ist kostbarer und höher als aller Prunk und alle Herrlichkeit mit der Salomo (Mt. 6, 29) geschmückt und geehrt war. Denn Salomo hat sich selbst geschmückt. Die Demut schmückt sich nicht. Wer echte Demut besitzt, dem neigt sich der Höchste und dieser ist ihr Schmuck.

Vor dem Auge wird die Seele dunkel, denn in ihr strahlt das Licht. Das Licht, das das Leben des Wortes ist. Das Wort erleuchtet das Bewusstsein. Aus diesem Bewusstsein erwacht der Mensch zum Ich. Und das Herz ist sein vom Wort durchdrungenes Auge.

Der nächste Entwicklungsschritt

Einzelne Roggenähre im Gegenlicht. Die Granen sind erhellt und bilden kleine Stahlen, die von den Früchten wegweisen.
Reife Roggenähre im Gegenlicht als Bild des frucht-tragenden Menschen-Ich.

Ist der Mensch durch das Wort zu diesem Ich erwacht, ist der weitere Weg der, nicht nur das Wort im Bewusstsein zu erfassen, sondern auch sein ganzes Leben mit dem Wort zu durchdringen und seine ganze irdische Form damit auszufüllen. Wie das geht und was das für den Menschen im Weitern bedeutet, lesen Sie im nächsten Artikel:

Zusammenfassung

  • der wahre Einweihungsweg
  • das Ego
  • die abgeschlossene Persönlichkeit
  • der Doppelgänger
  • die Demut
  • das Wort
  • das neue Kleid